WHEN GRAVITY HITS AND HANGOVERS ARE REAL.

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Digital Nomads & Remote Worker – Der Weg ins Glück?!

Der Meta-Algorithmus hat mich seit einigen Wochen im Schwitzkasten. Er weiß es. Er kennt meinen sehnlichsten Wunsch. Den Wunsch nach einer generalüberholten Lebensphilosophie. Nach einer neuen Karriere, einem erfüllten Tagesablauf, einem leeren Blatt Papier.

Ich schaue mir seit einigen Wochen am laufenden Band bezahlte Werbeanzeigen von unzähligen Gurus, Coaches, Digitalnomad/innen und sonstigen Erklärbär/innen an:

  • How to become a Digital Nomad in only 10 days
  • It’s never been easier to earn 10K per month with just one online course
  • Stop dreaming, start selling!
  • Work from anywhere and start your 10K social media business
  • Don’t be a fool – Learn Crypto trading in tax paradise
  • Escape the 9 to 5 – Join our Freedomwriter Academy

10.000 Euro im Monat als magische Grenze für Digitalnomaden-Gehälter?!

Ich füttere den Algorithmus fleißig weiter, indem ich auf jede zweite Anzeige tippe. Nicht, weil ich ernsthaftes Interesse daran habe, 1.500 Euro für einen zwielichtigen Online-Crashkurs auszugeben, der mir aufzeigt, wie ich “ganz einfach” ein sechsstelliges Social Media Business nur mit meinem Handy (!!!) aufbaue.

Vielmehr schaue ich den Menschen, die solche Anzeigen schalten, tief in die (virtuellen) Augen und stalke ihre Lebensläufe: Oft haben sie einen soliden Bildungsweg mit Abitur vorzuweisen, manchmal auch ein Studium, nicht ganz so häufig kommt “echte” Berufserfahrung hinzu. Die Art von Berufserfahrung, vor der sie in ihren Werbevideos warnen: 9 to 5 in einem Büro, das nicht direkt am Strand liegt! (Ich bitte an dieser Stelle um imaginäre Horrorfilm Sound Effects.)

Es scheint, als seien diese Menschen als Prophet/innen des digitalen Zeitalters zu uns gestoßen um uns aufzuzeigen, dass mit ‘ein bisschen Social Media Marketing‘ jeder Vollidiot das süße Digitalnomadentum genießen kann. Das Ganze am Besten in einer lässigen 10-Stunden Arbeitswoche.

Klingt zu schön um wahr zu sein? Ist es auch… oder???

Ich habe also unzählige Jahre meines Lebens in Hörsälen und Büros zugebracht um mir nun von mitte Zwanzigjährigen, die in ‘Instavideos‘ am Strand hin und her hüpfen, sagen zu lassen, dass es viel einfacher geht?

Leuchtet mir nicht so richtig ein, denn naiv wäre es zu denken, dass diese Menschen ihren ortsunabhängigen Wohlstand genießen können auf Grund der eigentlichen Tätigkeit, die sie uns in ihren meist absurd teuren Kursen und Coachings nahelegen wollen.

Nein, es sind ebendiese Kurse und Coachings, die die Finanzen der Sonnenanbeter/innen, Van-Besitzer/innen und Hobby-Bergsteiger/innen aufbessern. Und die kaufen wir, weil sie unsere Sehnsucht nach einem unerfüllten Traum wecken: Absolute zeitliche und räumliche Freiheit sowie der Luxus, niemandem Rechenschaft über unser berufliches Tun ablegen zu müssen – und das, ohne auf unser komfortables 9 to 5 Bürogehalt verzichten zu müssen.

Ich selbst möchte ebenfalls ortsungebunden und ergebnisorientiert arbeiten. Morgens am Strand spazieren gehen, danach gemütlich Kaffee trinken und anschließend ab hinter den Laptop. Nachmittags eine Runde Surfen, bevor ich die Arbeit wieder aufnehme, gerne auch bis spät abends. Wovon ich überzeugt bin: Dieser ideale Lebensweg wird nur real mit einer ordentlichen Menge Disziplin, Hartnäckigkeit und vor allen Dingen:

SKILLS! SKILLS! SKILLS!

Als erfahrene Beraterin in der derzeit vom ‘Fachkräftemangel’ gebeutelten IT Branche mit einem fundierten Bildungsweg darf ich den Traum von einem gut bezahlten Remote Job träumen, vielleicht sogar den der Selbstständigkeit. Doch genau wir sind es, die sich partout nicht trauen, diesen Schritt zu gehen, trotz unserer SKILLS, SKILLS und nochmal SKILLS! Wir reden uns ein, zu schlecht, zu unerfahren, zu jung zu sein. Wir sitzen vielleicht in einem zu komfortablen Sattel, den wir nicht gegen das Ungewisse eintauschen möchten. So liegt es noch näher, dass insbesondere junge und / oder nicht allzu erfahrene Arbeitskräfte auf die Tipps und Tricks der ‘Digital Nomad’ Karrierespezialist/innen reinfallen.

Und da schließt sich doch der Kreis. Die Gurus und Coaches, die tatsächlich ihren Traum erfüllen, sind wahrscheinlich äußerst zielstrebig, clever, ehrgeizig und umtriebig. Sie haben ein Gespür für das richtige Geschäftsmodell und können es bestens skalieren. Was mir nicht schmeckt ist, dass die meisten ihrer Kund/innen es eben gar nicht so einfach haben werden, trotz Coaching oder Kurs.

Als Quereinsteiger-Copywriter/in 10.000 Euro pro Monat verdien, obwohl man vorher 15 Jahre lang in der Bank am Schalter saß? Ein sechsstelliges Krypto-Trading Einkommen im Jahr, obwohl man derzeit als Erzieher/in arbeitet? Kann klappen, sicher… Wird es aber nicht ohne – richtig – eine ordentliche Menge Disziplin, Hartnäckigkeit und SKILLS! (Und mal ehrlich: Mein Konto und ich lassen uns natürlich super gern vom Gegenteil überzeugen!)

Nicht alles ist ‘coachable’…

Klar, klingt mal wieder gewaltig negativ hier. Ist es aber ausnahmsweise nicht.

Es gibt ganz viele tolle und seriöse Coaches da draußen, die sich selbstverständlich vorab mit der Motivation ihrer Kund/innen beschäftigen und so beurteilen können, ob eine Zusammenarbeit Sinn macht (Ironic Spoiler Alert: Genau so einen habe ich mir nun geschnappt … Social Media Werbung sei Dank).

Ein wichtiges Qualitätsmerkmal neben dem indiskutabel hohen Preis ( 😉 ) ist, dass kein Standardprogramm abgespult wird und keine konkreten Versprechungen gemacht werden á la “Du wirst reich sein danach!” (kotz!).

Auch hier schließt sich ein Kreis: Hast du wirklich die intrinsische Motivation, ortsungebunden zu arbeiten und zeitlich flexibel zu sein? Falls ja, warum ist das so?

Ein guter Coach erarbeitet gemeinsam mit seinen oder ihren Kund/innen eine realistische Vision und begleitet sie auf dem teils langen, sehr unbequemen Weg, diese zu erreichen. Dabei haben alle Beteiligten die tatsächlichen Fähigkeiten des ‘Coachees‘ fest im Blick mit der Fragestellung: Was kannst du überhaupt?! Denn: Nicht alles ist ‘coachable‘.

We have a dream, oder so.

Was mir nicht passt sind die zahlreichen online kursierenden Werbeversprechungen, dass der Traum von absoluter Freiheit nun ‘super easy‘, am besten innerhalb von nur XYZ Wochen, erfüllt werden kann.

Gönn’ dir heute doch mal eine neue PlayStation und, ach ja: Wie wäre es mit absoluter beruflicher und privater Freiheit? Gibt’s heute gratis dazu!” (Gut, ist etwas überspitzt, aber ihr wisst ja, wie ich’s meine.)

Hereinspaziert, we have a dream! Und zwar alle denselben: Digital Nomad / Surfer / Rich! Easy, mit einem T-Shirt Business, als virtuelle Assistenz, Social Media Manager/in, Krypto-Trader/in, Online-Kurs-Ersteller/in oder Copywriter/in – ne, danke!

Die Zielgruppe dieser Werbeanzeigen sind höchstwahrscheinlich Menschen mit Studienabschluss, die in ihrem Bürojob mal eben eine ‘quarter-to-mid-life-crisis‘ erleiden (yep, that’s me…). Wir sollen also unser hart erarbeitetes Fachwissen in die Tonne werfen und lieber unser E-Commerce-Business aufbauen? Gut, okay, aber: Was machen wir denn damit in 10, 20 oder 30 Jahren? Immernoch T-Shirts online verkaufen?

Ich denke, dass alle, die intrinsisch so richtig Lust darauf haben, ihr (Berufs-)Leben in die eigenen Hände zu nehmen hin zu mehr Freiheit und Flexibilität, dies auch schaffen. Und ja, dafür gibt es tolle Menschen, die diesen Weg mitgehen. Wovor ich warne ist jedoch die Vorstellung sowie das Versprechen vieler, dass ‘alles wie immer super mega easy‘ sein soll…

Ich mache jetzt besser mal ein Coaching. Und zwar ein richtiges, echtes, gutes Coaching. Stay tuned!

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Was es bedeutet, eine richtige Frau zu sein?!

Sie hat einen Kurzhaarschnitt und wirkt burschikos trotz bunter, femininer Röcke. Sie hat eine ruppige Art und spricht in tiefer Stimmlage. Vor einigen Wochen ist sie uns als neue Projektleiterin vorgestellt worden. Sie ist ehrgeizig, wenn es um ihren Job geht. Ihre Aussagen sind oft fordernd, sie stellt direkte, klare Fragen. Ein „Kontrollzwang“ wurde ihr von einer Kollegin nachgesagt, da sie in Meetings nicht nur an der Oberfläche kratzt. Mir gegenüber, so nehme ich es wahr, herrscht eine unterschwellige Abwehrhaltung versteckt hinter einer eigenartigen Höflichkeit. Ich habe das Gefühl, aufpassen zu müssen, was ich sage. Bereits an dieser Stelle verdränge ich ein komisches Gefühl im Bauch, dass ein Mann mit ähnlichen Attributen in meiner eigenen Wahrnehmung besser davon käme…Mist!

Bei einer real-life-Ausgabe ‚Office Gossip Girl’ im einzigen Büro mit Tür – denn Großraumbüros sind ja ultra hip – erfahre ich vor ein paar Tagen, dass meine Kolleginnen ‚die Neue‘ genauso wahrnehmen wie ich. Eine bestimmte Aussage hat mich überzeugt, der Situation einen Blogbeitrag zu widmen – stellvertretend für konkrete Alltagssituationen, in denen uns der Gender-Bias überrollt und wir Geschlechterrollen in Schubladen stecken.

Die ist keine richtige Frau, die will keine Kinder.“ (VON einer Frau ÜBER eine andere Frau!)

Ich bin sprachlos und nehme diese Aussage im Nachgang mehrfach kleinteilig auseinander. Sind Frauen, die keine Kinder wollen, tatsächlich keine ‚richtigen‘ Frauen? Was heißt es eigentlich, eine ‚richtige‘ Frau zu sein? Vagina, Brüste, lange Haare, Windeln in der Handtasche, Teilzeitjob? Zumindest die Urheberin dieses Statements scheint eine klare Vorstellung davon zu haben. Sie scheint programmiert auf ein Frauenbild, in dem Kinder vorkommen müssen.

Sicher, das Thema Frauen im Kontext Fortpflanzung könnte ich jetzt nüchtern und politisch korrekt von allen Seiten beleuchten: soziologisch, biologisch, philosophisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich oder kulturell. Ist mir aber richtig bumsegal. Mein Motiv ist mein Gefühl gegenüber Frauen, die andere Frauen auf Basis ihres Kinderwunsches beurteilen – alternativlos. Keine richtige Frau zu sein ohne Kinder zu wollen im Jahr 2020, hier muss man doch was tun können.

Stehen Frauen sich selbst im Weg?

Das Jahr meiner Hochzeit war ebenfalls das Jahr meines dreißigsten Geburtstages. Wie ein allgegenwärtiger Sabrina-Spellman-Charmed-Zauber liegt seither auf magische Weise diese eine Frage in der Luft:

Wie sieht‘s denn bei dir mit Nachwuchs aus?“ (Halt die Fresse.)

Fun Fact: Fast ausschließlich Frauen stellen mir diese Frage, als sei es die neue casual Begrüßung im Club der Gebärfähigen. Auch meine Social Media Accounts platzen vor fröhlich dreinblickenden Schwangeren um die dreißig mit Videos darüber, wie der ‚Postpartum-Belly‘ möglichst schnell wieder verschwindet. Biologisch völlig nachvollziehbar und altersgerecht, doch mir fehlt die Alternative. Während ich im Studium mit Einladungen zu Karrieremessen, Frauen-Networking-Events und ‚Diversity‘-Veranstaltungen von Unternehmen beschmissen wurde, kriege ich heute als Frau, die mit beiden Beinen im Berufsleben steht, wenig Input. Als sei die geringe Zeitspanne für den Job nun abgelaufen, inklusive all der Karriereversprechen der Mittzwanziger-Frauenevents. Während die Monopoly Career Edition für Männer 100 Level bereithält, hört es für uns Frauen meist nach Level 50 auf. „Schluss jetzt, du hast genug gewonnen! Gehe direkt über LOS und ab in den Kreißsaal!“ Auch die weiblichen Vorbilder, die ich mir im Job wünsche, kommen häufig nicht aus der Elternzeit zurück. Es sind die Männer, die weiterhin der Reisetätigkeit nachgehen und sich wenige Wochen nach einer Geburt die Glückwünsche in Form eines Schulterklopfers abholen („Was, du hast 4 Wochen Elternzeit genommen? Das finde ich aber super. Und ihr wart in Thailand? Wie progressiv!“) Dass daran absolut nichts falsch ist, ist klar. Dass aber an umgekehrter Konstellation ebenso nichts falsch sein darf, benötigt Überzeugungsarbeit.

Her mit den Karriere-Influencerinnen!

Bis vor Kurzem war ich fest davon überzeugt, dass sich genau diese Überzeugungsarbeit an eine gesichtslose Masse älterer Männer richtet, der es lieber ist, die Karrieren der Mütter für die Familienplanung zu opfern. Und sicher, die aus ihrer Generation geprägten Männer sind definitiv eine Zielgruppe, die es zu überzeugen gilt. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass es heute außerdem moderne und gebildete Frauen sind, die es anderen Frauen gelegentlich schwer machen, eine entsprechende Alternative zu wählen (shoutout an die Kollegin, siehe oben). Nicht jede Frau muss Mutter sein wollen. Nicht an jeder Ecke müssen Frauen über 30 mit Werbung zu Hormontests, Fruchtbarkeitsarmbändern oder Mutter-Kind-Partnerlooks konfrontiert werden. Gern hätte ich mal wieder etwas Abwechslung – sowohl in meinen Online-Feeds als auch im echten Leben. Karriere-Influencerinnen, die nicht nur Diät-Tees und Plastikleggings in die Kamera halten, sondern die aus dem Alltag erzählen, Tipps geben und Frauen dazu ermutigen, ‘richtige‘ Frauen zu sein: Mit Kind, ohne Kind, mit Karriere, ohne Karriere, mit Ehering, ohne Ehering. Und damit meine ich nicht die sporadischen Artikel und Videos über heldenhafte Frauen als Paradebeispiel, die es als CEO eines Fortune 500 Unternehmens geschafft haben (sind ja immerhin ganze 37…). Ich spreche von Frauen wie unserer neuen Projektleiterin, die im mittleren Management Bock hat auf 100 Level Karriere. Die uns erzählen kann, mit welchen täglichen Herausforderungen sie sich jobbedingt herumschlägt und die vor allen Dingen Stellung nehmen kann zu gesellschaftlichem Druck, eine ‘richtige‘ Frau zu sein – was auch immer dies nun bedeuten mag…

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Wie eine Gehaltsverhandlung NICHT laufen sollte

Es geht ums Prinzip. Das Prinzip esse, trinke, atme und lebe ich seitdem ich denken kann. Und wehe, es geht nicht fair zu. Dann werde ich zur Märtyrerin, zu Darkwing Duck, zu Robin Hood für die in meinen Augen Benachteiligten. Vordrängeln beim Bäcker macht mich wütend ebenso wie die strukturelle Ungleichverteilung von Kapital in unserer westlichen Welt. Mit Vollgas in Rage gerate ich außerdem in beliebten Diskussionen über die (Un-)Gleichberechtigung der Frau und bei zu viel Luft in teuren Chipstüten. All diese Umstände haben eines gemein: Es geht nicht um mich. Es geht um die Allgemeinheit, um Frauen, Kinder, SeaWorld-Delfine, Kollegen und die Umwelt. Sofort würde ich Prügel in Kauf nehmen, um in einer fiesen Fieslingssituation jemandem beizustehen. Was passiert also in meinem Kopf, wenn mir selbst etwas vermeintlich Unfaires widerfährt? Ich werde klein mit Hut, wenn ein Handwerker zu viel Geld verlangt, wenn statt bestellten Fritten nur Kartoffeln auf dem Teller liegen, wenn andere sich vordrängeln oder – und hier präsentiere ich den Anlass dieses Artikels – wenn im Job Gehälter zu meinen Ungunsten verhandelt werden.

Folgende Situation hat mich nun zur 360° Selbstreflexion gezwungen

Du machst’nen super Job hier im Projekt, wir würden dir gern eine Stelle als whatever-Manager anbieten, Gehalt liegt bei XYZ Euro* im Jahr. Kannst du dir vorstellen, für uns zu arbeiten?“ (*Anmerkung zu XYZ Euro im Jahr: Hierbei handelt es sich bereits um eine unverschämt hohe Summe, die 30-jährige Frauen für gewöhnlich zu Unrecht in Selbstzweifel-Endlosschleifen katapultiert und für die es ein männliches Maßlos-Ego bedarf, sie überhaupt einzufordern. ABER – und hier das Dilemma – vergleichbare Kollegen bekommen wissentlich mehr Geld.)

Ich antworte, sichtlich geehrt von diesem Zugeständnis an meine Kompetenz und hier beginnt die Talfahrt.

Akt 1 | Die eigenen Fähigkeiten unterschätzen

Den ersten Fehler begehe ich direkt. Ich hinterfrage, wie ein solches Angebot denn überhaupt für mich gedacht sein kann. Irrtum? Verwechslung? In meinem Kopf spielt ein Film, in dem mindestens zehn ‚viel geeignetere Kollegen‘ diese Stelle bereits abgelehnt haben müssen und ich die Notbesetzung bin. Damit werte ich unterbewusst nicht nur das Angebot ab, ich verkenne außerdem die Tatsache, dass ich bereits seit mehreren Jahren das Schiff aka. Team erfolgreich vor dem Untergang bewahre. Entsprechend submissiv fällt meine Antwort aus:

Eh, ja, prinzipiell kann ich mir das natürlich vorstellen. Welch eine Ehre, dass ihr auf mich zukommt.“ (facepalm.)

Sichtlich gebeutelt von diesem Gesprächseinstieg merke ich, dass meine Verhandlungsposition verbesserungswürdig ist. Ich frage mich also: Was hätte ich stattdessen sagen können?

Danke für das Angebot und das Vertrauen. Lass uns gern bei Gelegenheit über Aufgaben und Rahmenbedingungen sprechen, vielleicht finden wir irgendwann zueinander. Ich schau‘ es mir mal an.“ (So unverbindlich wie eine lose Verabredung mit Bekannten, die jederzeit einer weitaus besseren Option zum Opfer fallen kann.)

Akt 2 | Die Rolle der Bittstellerin

Mir werden also die Rahmenbedingungen aufgelistet als indiskutable Fakten, mit denen ich mich entweder abfinden kann oder nicht. Doch… moment mal: Wolltet IHR nicht vor rund einer Minute MICH für diese Rolle haben? Wann und vor allen Dingen wie ist es passiert, dass ich in der Position der Bittstellerin gelandet bin? Ich habe mich nicht proaktiv beworben und verspüre bis zu diesem Zeitpunkt kein Gefühl unermesslicher Dankbarkeit, zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein. Dies ändert sich schnell, denn zaghaft versuche ich nach dem zugegeben schwachen Einstieg am Händlerbasar teilzunehmen und sage:

Wie wär’s mit XYZ + ABC Euro?“ (Haha really? Kann ja gar nicht klappen, du Dummbatz!)

Ne, also ich würde echt Ärger mit HR bekommen, wenn ich angesichts deiner geringen Erfahrung ein so hohes Gehalt ansetzen würde.“ (Häh? IHR habt doch immernoch MICH gefragt?)

Ich erkenne, dass ich mich unwohl fühle in meiner Gesprächsposition und wünsche mir einen der vier Superhändler herbei, um diese verzwickte Situation aufzulösen (am liebsten den lustigen Rheinländer). Alternativ auch gern dieses „Gedächtnis-Auslösch-Dingens“ von Men in Black, um nochmal von vorne anfangen zu können. Ich schaffe es nicht, mein sonst so aufdringliches Selbstbewusstsein zu verwerten und meine Forderung sinnvoll zu versprachlichen – dabei ist mir klar, was ich will: Mehr Geld als mir geboten wird – aus Prinzip (hier schließt sich der Kreis)!

Akt 3 | Die Vermenschlichung der Organisation

Fakt ist doch: Unabhängig von meiner Person gibt es eine offene Stelle in einem Großkonzern, die mit einer ganzen Stange an Verantwortung einhergeht. Exakt dieselben Rollenprofile werden derzeit zu 95% von Männern mittleren Alters belegt. Von diesen 95% mangelt es mindestens der Hälfte an langfristigem Engagement, Manieren oder beidem (No shit! Ich bin schon seit drei Jahren als Beraterin dabei). Die offene Stelle stereotypisch zu besetzen mit einem Mann Mitte 50 würde bedeuten, ein mindestens doppelt so hohes Gehalt zahlen zu müssen wie das, was mir angeboten wird. Die Organisation, welche sicherlich von Menschen getrieben wird, räumt also ein Budget ein, welches mir nach oben hin verwehrt bleibt, weil…. warum eigentlich? Weil ich jung bin? Oder eine Frau, die zu nett ist, ihre Forderungen an erste Stelle zu setzen? Weil ich nicht klar formulieren kann, warum ich jeden Cent wert bin?

Würde ich mich darauf einlässen, wäre ich die „Buy 1 – get 1 free“ Mitarbeiterin, die die unermüdliche Work-Work-Balance über Jahre hinweg bereits unter Beweis gestellt hat. Ich wäre die gekaufte Katze im durchsichtigen Sack, die keine Überraschungen mehr bereithält, da sie den buckligen Arbeitsrücken schon perfektioniert. Ich wäre die Gut & Günstig Variante ganz unten im Manager*innen-Regal mit gleichem Inhalt in derselben Qualität, nur weniger hochwertig verpackt. Ihr versteht, worauf ich hinaus will.

Ich merke, dass ich im Verhandlungsgespräch aber nicht nüchtern die Organisation mit ihren offensichtlichen Motiven betrachte, sondern nur meinen Gegenüber sehe, der in diesem Fall das Sprachrohr ist. Mein People-Pleaser-Gen lässt mich an meine Grenzen stoßen, da ich es als unhöflich, aufdringlich und dreist empfinde, die oben angeführten Argumente auf den Tisch zu legen. Ich beschließe, das Gespräch zunächst mit einem relativ offenen Ausgang ruhen zu lassen, darüber nachzudenken und einen neuen Anlauf zu nehmen (vor welchem ich mir so hart den Rocky-Soundtrack reinziehe und mich durch ein paar motivational quotes klicke – „don’t limit your challenges, challenge your limits“ oder so). Ihr hört von mir!

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