WHEN GRAVITY HITS AND HANGOVERS ARE REAL.

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Job Jungle

Was es bedeutet, eine richtige Frau zu sein?!

Sie hat einen Kurzhaarschnitt und wirkt burschikos trotz bunter, femininer Röcke. Sie hat eine ruppige Art und spricht in tiefer Stimmlage. Vor einigen Wochen ist sie uns als neue Projektleiterin vorgestellt worden. Sie ist ehrgeizig, wenn es um ihren Job geht. Ihre Aussagen sind oft fordernd, sie stellt direkte, klare Fragen. Ein „Kontrollzwang“ wurde ihr von einer Kollegin nachgesagt, da sie in Meetings nicht nur an der Oberfläche kratzt. Mir gegenüber, so nehme ich es wahr, herrscht eine unterschwellige Abwehrhaltung versteckt hinter einer eigenartigen Höflichkeit. Ich habe das Gefühl, aufpassen zu müssen, was ich sage. Bereits an dieser Stelle verdränge ich ein komisches Gefühl im Bauch, dass ein Mann mit ähnlichen Attributen in meiner eigenen Wahrnehmung besser davon käme…Mist!

Bei einer real-life-Ausgabe ‚Office Gossip Girl’ im einzigen Büro mit Tür – denn Großraumbüros sind ja ultra hip – erfahre ich vor ein paar Tagen, dass meine Kolleginnen ‚die Neue‘ genauso wahrnehmen wie ich. Eine bestimmte Aussage hat mich überzeugt, der Situation einen Blogbeitrag zu widmen – stellvertretend für konkrete Alltagssituationen, in denen uns der Gender-Bias überrollt und wir Geschlechterrollen in Schubladen stecken.

Die ist keine richtige Frau, die will keine Kinder.“ (VON einer Frau ÜBER eine andere Frau!)

Ich bin sprachlos und nehme diese Aussage im Nachgang mehrfach kleinteilig auseinander. Sind Frauen, die keine Kinder wollen, tatsächlich keine ‚richtigen‘ Frauen? Was heißt es eigentlich, eine ‚richtige‘ Frau zu sein? Vagina, Brüste, lange Haare, Windeln in der Handtasche, Teilzeitjob? Zumindest die Urheberin dieses Statements scheint eine klare Vorstellung davon zu haben. Sie scheint programmiert auf ein Frauenbild, in dem Kinder vorkommen müssen.

Sicher, das Thema Frauen im Kontext Fortpflanzung könnte ich jetzt nüchtern und politisch korrekt von allen Seiten beleuchten: soziologisch, biologisch, philosophisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich oder kulturell. Ist mir aber richtig bumsegal. Mein Motiv ist mein Gefühl gegenüber Frauen, die andere Frauen auf Basis ihres Kinderwunsches beurteilen – alternativlos. Keine richtige Frau zu sein ohne Kinder zu wollen im Jahr 2020, hier muss man doch was tun können.

Stehen Frauen sich selbst im Weg?

Das Jahr meiner Hochzeit war ebenfalls das Jahr meines dreißigsten Geburtstages. Wie ein allgegenwärtiger Sabrina-Spellman-Charmed-Zauber liegt seither auf magische Weise diese eine Frage in der Luft:

Wie sieht‘s denn bei dir mit Nachwuchs aus?“ (Halt die Fresse.)

Fun Fact: Fast ausschließlich Frauen stellen mir diese Frage, als sei es die neue casual Begrüßung im Club der Gebärfähigen. Auch meine Social Media Accounts platzen vor fröhlich dreinblickenden Schwangeren um die dreißig mit Videos darüber, wie der ‚Postpartum-Belly‘ möglichst schnell wieder verschwindet. Biologisch völlig nachvollziehbar und altersgerecht, doch mir fehlt die Alternative. Während ich im Studium mit Einladungen zu Karrieremessen, Frauen-Networking-Events und ‚Diversity‘-Veranstaltungen von Unternehmen beschmissen wurde, kriege ich heute als Frau, die mit beiden Beinen im Berufsleben steht, wenig Input. Als sei die geringe Zeitspanne für den Job nun abgelaufen, inklusive all der Karriereversprechen der Mittzwanziger-Frauenevents. Während die Monopoly Career Edition für Männer 100 Level bereithält, hört es für uns Frauen meist nach Level 50 auf. „Schluss jetzt, du hast genug gewonnen! Gehe direkt über LOS und ab in den Kreißsaal!“ Auch die weiblichen Vorbilder, die ich mir im Job wünsche, kommen häufig nicht aus der Elternzeit zurück. Es sind die Männer, die weiterhin der Reisetätigkeit nachgehen und sich wenige Wochen nach einer Geburt die Glückwünsche in Form eines Schulterklopfers abholen („Was, du hast 4 Wochen Elternzeit genommen? Das finde ich aber super. Und ihr wart in Thailand? Wie progressiv!“) Dass daran absolut nichts falsch ist, ist klar. Dass aber an umgekehrter Konstellation ebenso nichts falsch sein darf, benötigt Überzeugungsarbeit.

Her mit den Karriere-Influencerinnen!

Bis vor Kurzem war ich fest davon überzeugt, dass sich genau diese Überzeugungsarbeit an eine gesichtslose Masse älterer Männer richtet, der es lieber ist, die Karrieren der Mütter für die Familienplanung zu opfern. Und sicher, die aus ihrer Generation geprägten Männer sind definitiv eine Zielgruppe, die es zu überzeugen gilt. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass es heute außerdem moderne und gebildete Frauen sind, die es anderen Frauen gelegentlich schwer machen, eine entsprechende Alternative zu wählen (shoutout an die Kollegin, siehe oben). Nicht jede Frau muss Mutter sein wollen. Nicht an jeder Ecke müssen Frauen über 30 mit Werbung zu Hormontests, Fruchtbarkeitsarmbändern oder Mutter-Kind-Partnerlooks konfrontiert werden. Gern hätte ich mal wieder etwas Abwechslung – sowohl in meinen Online-Feeds als auch im echten Leben. Karriere-Influencerinnen, die nicht nur Diät-Tees und Plastikleggings in die Kamera halten, sondern die aus dem Alltag erzählen, Tipps geben und Frauen dazu ermutigen, ‘richtige‘ Frauen zu sein: Mit Kind, ohne Kind, mit Karriere, ohne Karriere, mit Ehering, ohne Ehering. Und damit meine ich nicht die sporadischen Artikel und Videos über heldenhafte Frauen als Paradebeispiel, die es als CEO eines Fortune 500 Unternehmens geschafft haben (sind ja immerhin ganze 37…). Ich spreche von Frauen wie unserer neuen Projektleiterin, die im mittleren Management Bock hat auf 100 Level Karriere. Die uns erzählen kann, mit welchen täglichen Herausforderungen sie sich jobbedingt herumschlägt und die vor allen Dingen Stellung nehmen kann zu gesellschaftlichem Druck, eine ‘richtige‘ Frau zu sein – was auch immer dies nun bedeuten mag…

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