Es geht ums Prinzip. Das Prinzip esse, trinke, atme und lebe ich seitdem ich denken kann. Und wehe, es geht nicht fair zu. Dann werde ich zur Märtyrerin, zu Darkwing Duck, zu Robin Hood für die in meinen Augen Benachteiligten. Vordrängeln beim Bäcker macht mich wütend ebenso wie die strukturelle Ungleichverteilung von Kapital in unserer westlichen Welt. Mit Vollgas in Rage gerate ich außerdem in beliebten Diskussionen über die (Un-)Gleichberechtigung der Frau und bei zu viel Luft in teuren Chipstüten. All diese Umstände haben eines gemein: Es geht nicht um mich. Es geht um die Allgemeinheit, um Frauen, Kinder, SeaWorld-Delfine, Kollegen und die Umwelt. Sofort würde ich Prügel in Kauf nehmen, um in einer fiesen Fieslingssituation jemandem beizustehen. Was passiert also in meinem Kopf, wenn mir selbst etwas vermeintlich Unfaires widerfährt? Ich werde klein mit Hut, wenn ein Handwerker zu viel Geld verlangt, wenn statt bestellten Fritten nur Kartoffeln auf dem Teller liegen, wenn andere sich vordrängeln oder – und hier präsentiere ich den Anlass dieses Artikels – wenn im Job Gehälter zu meinen Ungunsten verhandelt werden.
Folgende Situation hat mich nun zur 360° Selbstreflexion gezwungen
„Du machst’nen super Job hier im Projekt, wir würden dir gern eine Stelle als whatever-Manager anbieten, Gehalt liegt bei XYZ Euro* im Jahr. Kannst du dir vorstellen, für uns zu arbeiten?“ (*Anmerkung zu XYZ Euro im Jahr: Hierbei handelt es sich bereits um eine unverschämt hohe Summe, die 30-jährige Frauen für gewöhnlich zu Unrecht in Selbstzweifel-Endlosschleifen katapultiert und für die es ein männliches Maßlos-Ego bedarf, sie überhaupt einzufordern. ABER – und hier das Dilemma – vergleichbare Kollegen bekommen wissentlich mehr Geld.)
Ich antworte, sichtlich geehrt von diesem Zugeständnis an meine Kompetenz und hier beginnt die Talfahrt.
Akt 1 | Die eigenen Fähigkeiten unterschätzen
Den ersten Fehler begehe ich direkt. Ich hinterfrage, wie ein solches Angebot denn überhaupt für mich gedacht sein kann. Irrtum? Verwechslung? In meinem Kopf spielt ein Film, in dem mindestens zehn ‚viel geeignetere Kollegen‘ diese Stelle bereits abgelehnt haben müssen und ich die Notbesetzung bin. Damit werte ich unterbewusst nicht nur das Angebot ab, ich verkenne außerdem die Tatsache, dass ich bereits seit mehreren Jahren das Schiff aka. Team erfolgreich vor dem Untergang bewahre. Entsprechend submissiv fällt meine Antwort aus:
„Eh, ja, prinzipiell kann ich mir das natürlich vorstellen. Welch eine Ehre, dass ihr auf mich zukommt.“ (facepalm.)
Sichtlich gebeutelt von diesem Gesprächseinstieg merke ich, dass meine Verhandlungsposition verbesserungswürdig ist. Ich frage mich also: Was hätte ich stattdessen sagen können?
„Danke für das Angebot und das Vertrauen. Lass uns gern bei Gelegenheit über Aufgaben und Rahmenbedingungen sprechen, vielleicht finden wir irgendwann zueinander. Ich schau‘ es mir mal an.“ (So unverbindlich wie eine lose Verabredung mit Bekannten, die jederzeit einer weitaus besseren Option zum Opfer fallen kann.)
Akt 2 | Die Rolle der Bittstellerin
Mir werden also die Rahmenbedingungen aufgelistet als indiskutable Fakten, mit denen ich mich entweder abfinden kann oder nicht. Doch… moment mal: Wolltet IHR nicht vor rund einer Minute MICH für diese Rolle haben? Wann und vor allen Dingen wie ist es passiert, dass ich in der Position der Bittstellerin gelandet bin? Ich habe mich nicht proaktiv beworben und verspüre bis zu diesem Zeitpunkt kein Gefühl unermesslicher Dankbarkeit, zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein. Dies ändert sich schnell, denn zaghaft versuche ich nach dem zugegeben schwachen Einstieg am Händlerbasar teilzunehmen und sage:
„Wie wär’s mit XYZ + ABC Euro?“ (Haha really? Kann ja gar nicht klappen, du Dummbatz!)
„Ne, also ich würde echt Ärger mit HR bekommen, wenn ich angesichts deiner geringen Erfahrung ein so hohes Gehalt ansetzen würde.“ (Häh? IHR habt doch immernoch MICH gefragt?)
Ich erkenne, dass ich mich unwohl fühle in meiner Gesprächsposition und wünsche mir einen der vier Superhändler herbei, um diese verzwickte Situation aufzulösen (am liebsten den lustigen Rheinländer). Alternativ auch gern dieses „Gedächtnis-Auslösch-Dingens“ von Men in Black, um nochmal von vorne anfangen zu können. Ich schaffe es nicht, mein sonst so aufdringliches Selbstbewusstsein zu verwerten und meine Forderung sinnvoll zu versprachlichen – dabei ist mir klar, was ich will: Mehr Geld als mir geboten wird – aus Prinzip (hier schließt sich der Kreis)!
Akt 3 | Die Vermenschlichung der Organisation
Fakt ist doch: Unabhängig von meiner Person gibt es eine offene Stelle in einem Großkonzern, die mit einer ganzen Stange an Verantwortung einhergeht. Exakt dieselben Rollenprofile werden derzeit zu 95% von Männern mittleren Alters belegt. Von diesen 95% mangelt es mindestens der Hälfte an langfristigem Engagement, Manieren oder beidem (No shit! Ich bin schon seit drei Jahren als Beraterin dabei). Die offene Stelle stereotypisch zu besetzen mit einem Mann Mitte 50 würde bedeuten, ein mindestens doppelt so hohes Gehalt zahlen zu müssen wie das, was mir angeboten wird. Die Organisation, welche sicherlich von Menschen getrieben wird, räumt also ein Budget ein, welches mir nach oben hin verwehrt bleibt, weil…. warum eigentlich? Weil ich jung bin? Oder eine Frau, die zu nett ist, ihre Forderungen an erste Stelle zu setzen? Weil ich nicht klar formulieren kann, warum ich jeden Cent wert bin?
Würde ich mich darauf einlässen, wäre ich die „Buy 1 – get 1 free“ Mitarbeiterin, die die unermüdliche Work-Work-Balance über Jahre hinweg bereits unter Beweis gestellt hat. Ich wäre die gekaufte Katze im durchsichtigen Sack, die keine Überraschungen mehr bereithält, da sie den buckligen Arbeitsrücken schon perfektioniert. Ich wäre die Gut & Günstig Variante ganz unten im Manager*innen-Regal mit gleichem Inhalt in derselben Qualität, nur weniger hochwertig verpackt. Ihr versteht, worauf ich hinaus will.
Ich merke, dass ich im Verhandlungsgespräch aber nicht nüchtern die Organisation mit ihren offensichtlichen Motiven betrachte, sondern nur meinen Gegenüber sehe, der in diesem Fall das Sprachrohr ist. Mein People-Pleaser-Gen lässt mich an meine Grenzen stoßen, da ich es als unhöflich, aufdringlich und dreist empfinde, die oben angeführten Argumente auf den Tisch zu legen. Ich beschließe, das Gespräch zunächst mit einem relativ offenen Ausgang ruhen zu lassen, darüber nachzudenken und einen neuen Anlauf zu nehmen (vor welchem ich mir so hart den Rocky-Soundtrack reinziehe und mich durch ein paar motivational quotes klicke – „don’t limit your challenges, challenge your limits“ oder so). Ihr hört von mir!