WHEN GRAVITY HITS AND HANGOVERS ARE REAL.

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Wieso arbeiten wir in Jobs die wir hassen?

Als Kind bin ich aufgewachsen mit einer Mutter, die kaum und stellenweise gar nicht berufstätig war. Sie konnte mich vom Kindergarten abholen, hat Pausenbrote geschmiert und war für die gesamte Administration meines Aufwachsens verantwortlich. Mein Vater hingegen zog morgens los, hat irgendwas mit Leuten und Versicherungen gemacht und ist abends nach Hause gekommen, als ich meist längst im Bett war.

Eine ‘Arbeit’ zu haben bedeutete in erster Linie Geld zu verdienen, damit wir drei Mal im Jahr in einem mittelmäßigen 4-Sterne Hotel im Süden Europas urlauben konnten (in dem sich meine Eltern dann meist fürchterlich stritten). Außerdem hatten wir ein Einfamilienhaus auf dem Dorf mit zwei Autos in (und vor) der Garage.

Ob der Beruf meines Vaters nun seine Berufung oder nur Mittel zum Zweck war interessierte niemanden. Hat man mich als Kind, Jugendliche oder junge Erwachsene gefragt, was ich einmal werden will, so war meine Antwort stets: Erfolgreich. Denn erfolgreich zu sein bedeutete Geld zu haben. Geld bedeutete Sicherheit und einen Platz in der sonnigen Mitte unserer Gesellschaft. So oder so ähnlich war es wahrscheinlich in vielen privilegierten Mittelstandshaushalten der unbeschwerten 90er.

Da ich natürlich nicht wusste, welche Berufe und Berufungen es draußen in der großen Welt geben kann, bin ich entsprechend blind in ein recht eintöniges Allerwelts-BWL-Studium geraten. Dort lernte ich viele andere Kinder solcher Mittelstandsfamilien kennen, die ebenfalls Geld als Motivator in die Wiege gelegt bekamen. Geld, für das es sehr hart zu arbeiten galt, denn sonst war es nicht verdient. Paradoxerweise hatten nämlich viele von uns nicht die (teure) Brille derjenigen auf, die mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurden. Viel mehr hatten wir Eltern, die es häufig in erster Generation zu etwas Wohlstand gebracht hatten und dies in Form von Statussymbolen zum Ausdruck brachten: BMW, Urlaube, Doppelhaushälfte und fragwürdig bunte Markenklamotten.

Die Maske der möglichen Berufungen fiel langsam, als die ersten Kommiliton*innen unbezahlte Praktika machten bei Beratungsfirmen, Anwälten, Steuerberatern oder Großkonzernen. So wurde eine erste Perspektive geschaffen, was nach dem Abschluss auf mich warten könnte. Ich machte es ihnen nach und bewarb mich bei einer Bank, immernoch ohne Idee, was dabei thematisch spannend sein könnte. Doch: Ich brauchte nun mal einen gut bezahlten Job! Denn nur mit einem solchen Job verdiene ich etwas, bin ich wertvoll genug. Das ‘ob’ und ‘wie viel’ war also bereits Motivator Nummer eins bei meinem Berufseinstig, nicht das ‘was’.

Meine Emotionen zwischen 9 und 17 Uhr.

So muss es doch sicher vielen von uns gehen. Wie sonst erklären wir uns die Existenz langweiliger Nischenberufe wie SAP-Berater*in, Recruiter*in oder Zahlungsverkehrsspezialist’*in (no offense)? Nur ein Bruchteil von uns wird in jungen Jahren gesagt haben: Geil, ich brenne für eine Software mit einem grau-blau-depressiven Screen und habe so richtig Bock, Expert*in darin zu werden! Nein, ich glaube es gab eine Hülle und Fülle von Bürojobs mit ausreichend Gehalt, um uns bildungsaffinen Absolvent*innen die Chance auf eine geldgesegnete Karriere zu versprechen.

Wir dümpeln also solange in einem dieser Jobs dahin, bis wir so viel Expertise angesammelt haben, dass es längst zu spät ist wieder rauszukommen (ähnlich wie zu lange Mafia-Mitglied zu sein, da kommt man wohl auch nicht mehr so einfach raus). Wir lobpreisen diese gut bezahlten ‘Karrieren’ on- und offline in Karrierenetzwerken und glauben an einen Stellenwert des Berufs gleich zwischen Papst und Hirnchirurg*in. Kombiniert mit finanzieller Sicherheit wird es Jahr für Jahr schwierieger, doch noch das heiß ersehnte Schmuck-Business aufzuziehen, von dem man als 16-jährige geträumt hat.

Das Sahnehäubchen für mich ist der massive Zeitraub, den Bürojobs betreiben. Mit Anfang 30 haben wir nun lustigerweise meist das inflationär genutzte Wort ‘Manager’ im Jobtitel und das Essentielle, was wir nicht mehr managen können, ist unsere eigene Lebenszeit. Es wird erwartet, dass wir ständig erreichbar sind, die berühmte ‘Extrameile’ gehen und dankbar sind für die Entlohnung, die wir für die Aufopferung erhalten. Monatlich dann ein kurzes Glücksgefühl, dass alle Rechnungen (beim teuren Italiener ums Eck) bezahlt werden können und weiter geht’s.

Das alles erklärt natürlich nur bedingt, warum wir tagein tagaus Dinge tun, die wir abgrundtief hassen: Noch eine Präsentation bauen, noch ein Meeting mit lauter Arschlöchern abhalten, noch mehr Budgettabellen befüllen – you name it! Meine Theorie: Trotz der täglichen Schrott-Aufgaben wissen wir, dass unsere Eltern nun mächtig stolz darauf sind, dass wir nach ihrer Definition greifbar erfolgreich sind. Wir leben sicher und stabil von einer Gehaltsabrechnung zur nächsten und sind genauso risikoavers wie die Generation zuvor. Sind wir also immernoch nicht näher an der Berufung, sondern stecken weiterhin in einem Beruf fest? Die nächste Generation wird diese Frage hoffentlich besser beantworten können.

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New work, old jerk – Was taugt das New Work Konzept?

What is new about new work is the idea that work can be something wonderful.” – Frithjof Bergmann, Begründer der New Work Bewegung 

Gemeinsam mit rund 200 weiteren Kolleg*innen warte ich in der virtuellen Lobby eines Live-Webcasts, den mein Arbeitgeber veranstaltet. Um People Leadership soll es gehen und darum, ‘die jungen Talents‘ nachhaltig zu motivieren. Warum jemand jetzt immer unbedingt ein ‘Talent‘ sein muss, ist mir ein Rätsel. Denn insbesondere im Büroalltag fallen ja allerlei Tätigkeiten an, für die es nicht unbedingt Talent braucht. Im Gegenteil, ein Büro-Talent zu sein klingt fast schon beleidigend. “Hey, also du hast wirklich ein besonderes Talent dafür, die täglichen Pausenbrötchen für die Chefetage zu bestellen.” “Wahnsinn, wie toll du die Formen und Farben in deiner Powerpoint Präsentation anordnest. Du bist ein Naturtalent!” SAID (almost) NO ONE. EVER. Der Duden schreibt: 

Talent ist eine Begabung, die jemanden zu ungewöhnlichen bzw. überdurchschnittlichen Leistungen auf einem bestimmten, besonders auf künstlerischem Gebiet befähigt. 

Für all die Powerpoint-Picassos lasse ich den Begriff also noch gelten. Aber junge Erwachsene, die nach dem Studium oft ohne Langzeitplan einen Job in einer Unternehmensberatung annehmen, um den monatlichen Gehaltsscheck abzustauben, als ‘Talents‘ zu betiteln – weit hergeholt.  

Zurück zum Webcast: Es ist gerade mal 8 Uhr und ich bin ehrlicherweise nur dabei, um mich über Feedback-Fristen und Beförderungsrunden zu informieren, damit mir niemand nachsagt, ich sei schlecht aufgestellt in Sachen People Leadership Dingens. Doch dann: Der Denkanstoß für diesen Blogartikel. 

Es geht los. Ein cool aussehender HR Typ mittleren Alters setzt sich an den Home Office Nachrichtenpult. Im Hintergrund ein Regal voller Bücher. Durch das verpixelte Bild ist nicht zu erkennen, ob es sich hierbei um Fifty Shades of Grey oder um echte Fachliteratur handelt. Live zugeschaltet ist auch Pia-Sophie-Anna-Magdalena (ka), die Kollegin, die wohl wegen ihres Talents für das Weiterklicken von Folien aufgestanden ist (Randnotiz: DER neue Schwanzvergleich des Home Office Territorialverhaltens-Dschungels! – “Ehm, next slide now, please!“).  

Purpose, Entrepreneurship, Enablement – was soll das eigentlich bedeuten? 

Der HR Typ stellt also die Agenda mit fast philosophisch anmutender Wortwahl vor. Es soll um purpose gehen, um guidance und empowerment. Eingebettet in das vielerorts gepriesene New Work Konzept sollen die jungen Talents ihren inneren Entrepreneur hervorholen und sich entsprechend entwickeln. Und wir, wir sollen das Ganze begleiten, enablen und mit Feedback-Sahnehäubchen versehen. Doch mal ehrlich: Kann die stundenlange Anwendung von Excel und Powerpoint jemals mehr als work sein? Die Telefonate, in denen “Strategieberater” den North Star finden wollen und die Buzzword Happy Hour einläuten, jemals echtes Entrepreneurship hervorrufen? I DOUBT IT (oder eher: Ei daut it)!  

New work, old jerk?! 

Fakt ist nämlich: Mache ich um 18 Uhr Feierabend, ist mir ein “Na, heute ‘nen halben Tach Urlaub?” so sicher wie das Amen in der Kirche. Stimmt ein Ergebnis nicht mit der Vorstellung unseres Chefs überein, ist die Stimmung düster und das Feedback hat weniger einen Enablement-Charakter sondern etwas von pubertärem Türenknallen. Obwohl sich fast jedes halbwegs am Puls der Zeit agierende Unternehmen New Work auf die Fahne ihrer internen als auch externen Kommunikation schreibt, ist oft wenig Inhalt vorzuweisen. Die jungen Talents sind in ihrem Alltag weiterhin konfrontiert mit der expliziten oder – noch schlimmer – impliziten und intrinsisch eingepflanzten Erwartungshaltung, sich die Nächte um die Ohren schlagen zu müssen, wenn mal wieder eine häufig belanglose Präsentation auf Hochglanz poliert werden muss. Wenn der Chef stolz erzählt, welche armen Arbeitstiere er morgens um halb vier telefonisch noch erreicht hat, weil wir ja alle mit demselben spirit ans Werk gehen. Selbstverständlich wird so auch die Kollegin, auf deren Computer eine vermeintlich überlebenswichtige Excel-Datei schlummert, nachts aus dem Schlaf geholt (und nein, es war nicht die Formel des Corona-Impfstoffs). 

Was schnell klar wird: Marketing, HR, PR und all die anderen humanitären Auffangbecken in großen Organisationen – alle können New Work herbeisehnen. Solange die Arbeit, die täglich getan werden muss, jedoch nicht im Ansatz mehr Talent, Kreativität oder besondere menschliche Voraussetzungen erfordert, kann nicht jede*r den Beruf zum Hobby und das Hobby zum Beruf machen. Ich glaube sogar, dass die Glaubenssätze der New Work Bewegung in breiter Masse möglicherweise ungeniert zu Mehrarbeit, Frustration und Orientierungslosigkeit führen können. Denn wie schön ist es zu glauben, dass wir das ja alles freiwillig machen, da wir unseren persönlichen purpose in unser life integrieren und work eben viel mehr als work ist. Und wie traurig auf der anderen Seite, wenn sich dieses Gefühl bei einem selbst nicht recht einstellen will.  

Better Work  

Wenn work also für die allermeisten von uns einfach work bleibt, dann wird sie in den seltensten Fällen zu etwas Wundervollem. Was sie aber im ersten Schritt sicher werden kann, ist besser. Better Work, das bedeutet für mich weg von “Na, halben Tach Urlaub?!“-Kommentaren hin zu neuen Blickwinkeln auf Stärken, Schwächen und Bedürfnisse. So gelobe auch ich Besserung und befolge drei mir dank des Webcasts auferlegte Glaubenssätze: 

“Das war schon immer so!” ist absolut tabu 
Nur weil ich durch eine – achtung – ‘harte Schule‘ gehen musste zu Beginn meiner Karriere, bedeutet dies nicht, dass andere es dank mir auch müssen. Ich erwische mich manchmal dabei, dass ich einem recht simplen menschlichen Denkmuster folge: Weil ich es erleiden musste, musst du es auch – circle of life. Schwachsinn! Erfolgreich sein geht auch anders. Nämlich ohne nächtliche, unbezahlte Überstunden und unrealistische Deadlines. Ich kann zwar nicht dafür sorgen, dass Excel-Tabellen, Budgetdateien und Präsentationen plötzlich Spaß machen, jedoch kann ich zu einer Akzeptanz beitragen, dass Arbeit nicht immer in Rekordtempo erledigt sein muss. Da kann man sich dann um 18 Uhr auch schon mal’nen halben Tach freinehmen… (Spaaaaaß)  

Echte Verantwortung übertragen  
Mikro-Management und Skepsis sind wie Zecken, nach welchen man sich regelmäßig selbst genauestens absuchen muss. Wir können sie außerdem nur durch bewusste und zielgerichtete Gegenangriffe eliminieren. Bei einer dieser Selbstreflexionen stelle ich fest, dass auch ich davon befallen bin. Ich erledige Aufgaben viel lieber “mal eben” selbst, als Kolleg*innen damit zu betrauen. Mein Verhalten führt so zu Frust bei allen Beteiligten: Hoher Arbeitsaufwand bei mir und das Gefühl, nicht richtig gebraucht zu werden, bei den anderen.  Verantwortung zu übertragen bedeutet meist, sich aus der eigenen Komfortzone heraus zu bewegen und die Kontrolle zumindest für einen begrenzten Zeitrahmen in andere Hände zu legen. Was hilft es also, wenn ich mal wieder Aufgaben bei mir behalte, die ich ebenso gut abgeben könnte? In solchen Momenten versuche ich mich ab sofort daran zu erinnern, dass ich mich selbst auch nur weiterentwickeln konnte, weil jemand anders mir Verantwortung übertragen hat ohne doppelten Boden. Denn was kann im schlimmsten Fall passieren? Richtig, nicht viel – die Welt geht im Normalfall nicht unter. 
Fail fast, fail often – dieses Motto gilt es demnach zu befolgen: Ich will, dass die anderen viele Dinge ausprobieren können, gegebenenfalls scheitern und es dann einfach nochmal versuchen.   
 

Leistung wird belohnt, keine Leistung nicht direkt bestraft  
Es wird nicht gern gehört in unserer Leistungsgesellschaft, doch nicht jeder Mensch ist clever, effizient und ein ‘High Performer‘ auf jedem Gebiet, vor allen Dingen nicht im beruflichen Kontext. Es gibt eben auch die ‘Normal Performer‘, die zufrieden sind mit durchschnittlicher Leistung bei durchschnittlichem Zeitaufwand und durchschnittlicher Entlohnung. Da das Wort Durchschnitt oft negativ konnotiert ist, fühlen sich viele Menschen dadurch nicht angesprochen. Ist aber halb so wild, in einigen Bereichen durchschnittlich zu sein, finde ich. Deshalb sollte eine freiwillig erbrachte und auf Stärken basierende überdurchschnittliche Leistung zwar belohnt werden, sie sollte jedoch nicht als Voraussetzung gelten und diejenigen bestrafen, die den Anforderungen nicht gerecht werden können.  
Ein Beispiel: Nur weil der Kollege spät abends noch fehlerfreie Budgetanalysen schickt, setze ich dies nicht automatisch bei allen anderen voraus und will auch besagten Kollegen zukünftig nicht an diesem Standard messen. So vermeide ich Enttäuschung und sogar Bestrafung von vermeintlich nicht erfüllten Zielen. Die Messlatte also einfach mal tiefer hängen, so lebt es sich im Job, aber auch privat, plötzlich viel entspannter (gilt übrigens auch für die Ansprüche an sich selbst…).  

Die Arbeit als solche wird also vielleicht nicht unbedingt sinnstiftender, zumindest nicht unmittelbar und schon gar nicht basierend auf einem theoretischen Konstrukt wie der New Work Bewegung. Ich plädiere jedoch stark für den entspannteren Umgang mit Leistungsdruck und den Ansprüchen an uns selbst, hin zu Better Work und vielen echten halben Tagen Urlaub… 

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